Bild: Lawrence Broadnax/DVIDS
Dieser Blogbeitrag gehört zur Coronavirus-Blog-Reihe des CSS, die einen Teil des Forschungsprojektes zu den sicherheitspolitischen Implikationen der Corona-Krise bildet. Weitere Informationen finden Sie auf der CSS-Sonderthemenseite zur Corona-Krise.
Südostasien ist ein Brennpunkt in der strategischen Rivalität zwischen China und den USA. Was sich auf globaler Ebene abzuzeichnen beginnt, ist in dieser Weltregion bereits Realität: In einem wachsenden Konflikt konkurrieren China und die USA mit wirtschaftlichen, diplomatischen und teils militärischen Mitteln um Einflussnahme und versuchen die Machtbalance zu ihren Gunsten zu verändern. Dabei fördern sie kollidierende politische Initiativen und Ordnungsvorstellungen. Auch die Möglichkeit einer militärischen Auseinandersetzung rund um die Krisenherde im Südchinesischen Meer scheinen beide Seiten zunehmend in Kauf zu nehmen. In Südostasien verstärkt die Corona-Krise geopolitische Machtverschiebungen und politische (Neu-)Ausrichtungen.
«Maskendiplomatie» als Rehabilitationsversuch?
China ist in den letzten Monaten in Indonesien, den Philippinen und anderen südostasiatischen Ländern als Helfer in der Not aufgetreten. Die sogenannte «Maskendiplomatie» beinhaltet das Versenden von Masken, Testkits, Nahrung und anderen medizinischen Gütern sowie den Rat von ExpertInnen. Empfängerstaaten sind dabei nicht nur die üblichen China-Sympathisanten Laos und Kambodscha, sondern auch US-amerikanische Verbündete. Zum Beispiel erhielten die Philippinen im Mai eine Schiffsladung mit unter anderem 1,3 Millionen Gesichtsmasken, 150 000 Testkits und 70 000 Schutzanzügen.
Die Übergabe der Hilfsgüter ist jeweils medienwirksam inszeniert. Den südostasiatischen Empfängerstaaten, aber auch der eigenen Bevölkerung soll gezeigt werden, dass – während die EU mit sich selbst beschäftigt ist und die USA in Isolationismus verfallen – China Führungsbereitschaft signalisiert. Peking erhofft sich wohl durch seinen Aktivismus, die vermehrt zu vernehmenden kritischen Stimmen bezüglich seines Verhaltens zu Beginn der Pandemie im In- und Ausland zu übertönen. Insofern sind die «Maskendiplomatie» und die «Seidenstrasse der Gesundheit» auch Rehabilitationsversuche.
Die Wirkung der «Maskendiplomatie» fiel unterschiedlich aus. Generell lobten diejenigen Länder, in denen China bereits geschätzt wird, die Hilfe auch mehr. So kam die Unterstützung bei Chinas engstem Vertrauten Kambodscha sehr gut an. In Malaysia, dessen langjähriger und vor Kurzem zurückgetretener Premierminister Mahathir bin Mohamad als Kritiker chinesischer Investitionen und Gebietsansprüchen in Südchinesischen Meer gilt, kam es zu gemischten Reaktionen. Zwar bedankte man sich höflich bei Präsident Xi Jinping, mit der Zeit wurde aber Kritik an der Qualität der Tests laut, weshalb nun Tests aus Südkorea importiert werden.
Chinas geopolitische Ambitionen
China hat im letzten halben Jahr neben seiner grosszügigen Seite auch ordentlich Zähne gezeigt. Unter dem Radar der Weltöffentlichkeit legte Peking im Südchinesischen Meer ab April ein aggressives Verhalten an den Tag. Während sich Konfliktparteien in zahlreichen anderen Krisenherden auf Waffenstillstände einigten, versenkte die chinesische Küstenwache in territorial umstrittenen Gewässern ein vietnamesisches Fischerboot und chinesische Unternehmen unternahmen Ölbohrungen in Malaysias exklusiver Wirtschaftszone. Zudem wurden in umstrittenen Gebieten des Südchinesischen Meeres zwei neue Verwaltungsdistrikte errichtet und die Volksbefreiungsarmee unternahm Probefahrten mit dem Flugzeugträger Liaoning.
Durch dieses Verhalten hat China einen Teil des durch die «Maskendiplomatie» gewonnenen Vertrauens wieder verspielt. Mit der Abnahme der Infektionszahlen und der Hilfsgüterlieferungen wurden auch die «Wolfskrieger» aktiver. Die erhöhte Aktivität dieser neuen Generation chinesischer DiplomatInnen, die im Netz Chinas KritikerInnen attackieren und Falschmeldungen verbreiten, zeigt Chinas Nervosität und Sensibilität im Kampf um das Narrativ der Pandemie.
Die komplexen und teils widersprüchlichen Avancen Chinas während der Corona-Krise widerspiegeln den geopolitischen Trend in der Region. Für die Klein- und Mittelmächte Südostasiens stellt der Umgang mit dem Aufstieg Chinas die zentrale strategische Herausforderung dar. Zulasten der südostasiatischen Anrainerländer zementiert China seit den 2010er-Jahren mit Seemanövern und der Schaffung von künstlichen Inseln und Verwaltungsverordnungen seine historischen Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer. Im selben Zeitraum lancierte China aber auch regionale und überregionale Kooperationsformate wie die Lancang-Mekong-Kooperation, die Belt and Road Initiative und die Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank. Solche politischen Initiativen nutzt Peking zusätzlich zu seinem ökonomischen Gewicht, um die Länder der Region in seinen Orbit zu ziehen und die regionale Ordnung nach der eigenen Vorstellung zu formen.
Chinesisch bestimmte Wirtschafts- vs. US-dominierte Sicherheitsordnung
Wirtschaftspolitisch ist China längst zur bestimmenden Grösse in Südostasien geworden. Die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt ist heute der wichtigste Handelspartner der ASEAN (Association of Southeast Asian Nations) – und umgekehrt. Sicherheitspolitisch bleiben aber die USA vorläufig der bedeutendste externe Akteur der Region. Die strategischen Beziehungen zu den USA, die nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihren asiatischen Alliierten die Sicherheitsarchitektur im asiatisch-pazifischen Raum gestaltet haben, werden für die Stabilität und Sicherheit in der Region immer noch als gewichtig erachtet. Während die Wirtschaftsordnung Südostasiens also immer mehr nach China ausgerichtet wird, bleibt die Sicherheitsordnung auf absehbare Zeit US-dominiert. Diese gegenläufige Entwicklung bringt die Länder der Region in eine schwierige Situation.
Angesichts dieses Dilemmas positionieren sich südostasiatische Staaten unterschiedlich. In den Mekong-Staaten – Kambodscha, Laos, Myanmar, Thailand und Vietnam – konnte China über die letzten Jahre auch dank gross angelegter Investitionen und Infrastrukturprojekten seinen Einfluss stetig ausweiten. Mit den Philippinen unter Präsident Rodrigo Duterte und Thailand unter der Militärjunta haben sich die zwei US-amerikanischen Vertragsverbündeten in Südostasien zuletzt stärker von den USA weg und Richtung China orientiert. Duterte wollte zu Beginn des Jahres noch das Besuchsrecht für US-amerikanische Truppen aufkündigen und betonte in der Vergangenheit, eine engere militärische Kooperation mit China anstreben zu wollen. Nach dem Militärputsch 2014, der zu einer Verschlechterung der Beziehungen zu den USA führte, schloss Thailand mehrere Rüstungsgeschäfte mit China ab, einschliesslich eines Ankaufs von drei U-Booten.
Indonesien, Singapur, Vietnam und bisweilen Malaysia bemühen sich hingegen um eigenständige Positionen und wehren sich gegen eine zu starke chinesische Einflussnahme. Parallel zu den sich intensivierenden Handels- und Investitionsbeziehungen mit China bauten diese Länder ihre diplomatischen und militärischen Beziehungen zu den USA aus und suchten mit weiteren externen Akteuren wie Australien, Japan und Indien vermehrt die Zusammenarbeit. Indonesien und Vietnam investierten auch in den Ausbau der Küstenwache und der Marine, um ihre Abschreckungsfähigkeiten im Südchinesischen Meer zu stärken.
Südostasien in der Zwickmühle
Im Spannungsfeld der sino-amerikanischen Rivalität ringen die Staaten Südostasiens individuell und als Region um Strategien, die es ihnen erlauben, ihre Interessen voranzutreiben. ASEAN, 1967 gegründet, steht in vielerlei Hinsicht für gemeinsame Interessen und Lösungsansätze, auch wenn ihre Zentralität im vergangenen Jahrzehnt vermehrt angezweifelt wurde. Das Bekenntnis zum Multilateralismus, vertiefter regionaler Integration und einer regelbasierten Ordnung lässt sich im wirtschaftspolitischen Bereich gut beobachten. Der Rückzug der USA aus dem transpazifischen Freihandelsabkommen (TPP) und die Präferenz der Trump-Regierung für bilaterale Handelsvereinbarungen stossen entsprechend auf Ablehnung. Auch die US-amerikanische Version des Konzeptes «Free and Open Indo-Pacific», das auf eine Eindämmung Chinas zielt, läuft einer von der ASEAN favorisierten inklusiven, offenen Ordnungsvorstellung für die Region zuwider.
Die Corona-Krise scheint das Dilemma der südostasiatischen Länder verschärft zu haben. Mittelfristig scheint keine Lösung in Sicht. Die Ausgestaltung der wirtschaftlichen Erholungspläne bietet Südostasien die Möglichkeit, die Abhängigkeit von China zu reduzieren. Tiefere Lohnkosten und eine vorteilhafte Demografie spielen diesen offenen Volkswirtschaften in die Karten. Chinas Aggressivität im Südchinesischen Meer gibt den USA die Möglichkeit, die Beziehungen zu den ASEAN-Staaten im Sicherheitsbereich zu verbessern. Um seinen Einfluss wahren zu können, müsste Washington aber auch seine wirtschaftliche Bedeutung stärken.
Das CSS untersucht in den nächsten zwei Jahren im Rahmen von zwei Forschungsprojekten die mittel- und langfristen Folgen der Corona-Pandemie. Im Vordergrund stehen dabei das nationale und internationale Krisenmanagement sowie die Auswirkungen der Krise auf die internationalen Beziehungen und die nationale und internationale Sicherheitspolitik. Mehr dazu finden Sie auf der Sonderthemenseite des CSS zur Corona-Krise.
Autoren
Linda Maduz ist Senior Researcher am Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich.
Simon Stocker ist Masterstudent am Graduate Institute of International and Development Studies (IHEID) in Genf.
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